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ggm in Nieuwpoort, Belgien

Von Leo Phillipé

Kunstwerk Dromen...
...schreibt die Stadt Nieuwpoort, Belgien, den zweijährigen M.J.Moortgat-Keukelinck Kunstpreis aus; er wendet sich in 2009 an Künstler, sich mit dem Thema "Traum" zu beschäftigen: Gefordert sind plastische Werke oder Installationen.

Die deutsche Übersetzung leistet nicht die Zweifachbedeutung des Niederländischen "Dromen": sie sagt entweder Träume, also nominal im Plural, oder sie übersetzt mit träumen, also verbal im Infinitiv.

Als Nomen ist Traum ein abstrakter Begriff. Wie Liebe, wie Wetter, wie Wärme. Anders als Haus, Baum, Hund, wofür konkrete Zeichen abrufbar sind. Für Abstrakta muss der Künstler Symbole erfinden, muß metaphorisch arbeiten. Seine Traum-Ikonographie muß decodiert werden. Und die Zeichen müssen abbildhaftig sein, also gegenständlich: Träumen geschieht in Bildern. Realen Bildern. Widerspiegelnden. Gegenständlichen. Niemand träumt abstrakt. Aber die Bilder laufen ineinander, verlieren vielleicht Form und Farbe und zurück bleibt möglicherweise nur eine Art Silhouette des beträumten Bildes. So müssen die künstlerisch dargestellten Bilder zugleich gegenständlich wie auch imaginär sein.

Verbal gebraucht steht die Aktion im Vordergrund, ein Tun: ein Mensch ist geistig aktiv, versucht vielleicht, etwas in eine Realität umzusetzen. Und damit kann dann nur der Tagtraum gemeint sein, denn nur der ist aktiv zu gestalten, ist mit Gedankeninhalt eines Menschen zu füllen. Der nächtliche aber kommt dem Träumenden. Und der Nachttraum geschieht immer nur allein. Zum Tagtraum kann sich der Träumende Partner suchen: Komm, lass uns träumen.... Das Denken dazu wiederum, das geschieht wieder allein: Kein Mensch sieht in eines anderen Schädel: Die Gedanken sind frei, wer kann sie verwehren?

Ist ein Künstler der Träumende, ist ein Rezipient der Interpret. Oder der nimmt die Gelegenheit wahr und beginnt selbst zu träumen. Aktiv!

Wovon ist die Rede? Ist "Träumen" das "Verschieben" und "Verdichten", wie Freud es u.a. nannte? Ist es das surrealistische Dogma André Bretons, dass Kunst reiner psychischer Automatismus sein soll? Ist es die "höhere Aktivität", wie die Psychologie das Einführen des Traumes in die Kunst nennt? Sind Träume dazu da, Patienten zu helfen? Oder werden sie erzählt, damit jeder sich daran erbauen kann? Sind Träume durch das Unterbewußte beeinflußt oder sind sie schlicht freie Assoziation? Sind sie gemacht oder werden sie gemacht?

Allem aber ist eines gemein: Bewegung. Kein Traum kommt ohne Bewegung aus. Und auch im Tag-Traum bewegt sich ein Mensch von einer Vorstellung zu einer anderen.

ggmüller nimmt an der gestellten Aufgabe mit einer Installation teil, nennt sie "verborgen", was sowohl im Niederländischen wie im Deutschen die gleiche Bedeutung hat; er bleibt sich treu - und wandelt doch: Wieder einmal läßt er den Betrachter vor eine Tür treten. Diesmal ist es keine, die am Ende einer Aufgabe stünde, auch keine, die zum Nichts führte. Und wieder ist ein Nest dabei - diesmal nicht versteckt, sondern an prominenter Stelle - thronend unter der Kuppel einer Konche.

Und/aber wer durch diese Tür geht, der entscheidet auch darüber, wer träumt: Er folgt dem Traum des Künstlers, oder er beginnt mit einem eigenen. Erst recht, wenn er sich mit seinen Gedanken vor der Konche befindet.

Von außen ist müllers Arbeit als Trapez-Form auszumachen; auf der vorderen Grundlinie steht die Tür, die eher ein Portal ist, von ihr laufen die Schenkel diagonal auf eine Raumwand, die die parallele Abschlußlinie bildet. Die Tür ist gut 2.50m hoch, etwa einen Meter breit. Ihre Kassettenfachung ist aus Schieferplatten; die stammen aus dem Schutt des Schieferdaches der Liebfrauenkirche in Brügge. Im Holzrahmen ein weiteres müller-Charaktristikum: die ultramarinblauen Linien.

In den Rahmen der Tür sind beidseitig Holzwände eingefügt, weitende Diagonalen bildend. Innen und außen weiß verputzt und mit "seinem" Titandioxid-Weiß gefasst.

Die etwa vier Meter langen Wände werden auch in ihrer Mitte und am Ende gestützt, jeweils von Pfosten mit seitlichen Diensten, verbunden durch kleine Rundbögen. Sie geben Stand und versteifen die Gesamtkonstruktion nach allen Richtungen.

Es ist jenes durchaus mächtige Portal, das beim " Spaziergang im Garten von Künstler und Muse" zu finden ist, dort mit eben jener anderen Ausrichtung, der zum Nichts. Hier hat es eine geläufigere Aufgabe gefunden, sie führt weiter: die Arbeiten von ggm sind selten endgültig. Anders ist nun auch der Tür-Rahmen, breiter, tiefer - er muß ohne weitere Fixierung an Wand oder Boden die Last tragen, vor allem auch die Schwing-Bewegungen beim Öffnen und Schließen. Entsprechend tief deshalb die Schwelle. Aber über die statische Funktion hinaus leistet sie einen weiteren Dienst: sie überläßt sich dem den Betrachter zum stehen bleiben. Die Hand noch an der soeben geöffneten Tür bleibt er auf der Schwelle, überrascht von dem, was sich auftut.

Hinter der mächtigen, schwarz-grauen Tür der (T)Raum- Installation blickt man unmittelbar auf ein weiteres Sinnbild, auf die Konche am anderen Ende des Raumes, mittig zwischen den Eckpfosten: Eine Holzskulptur, außen weiß- und innen goldgefasst. Ihre Höhe liegt dicht unterhalb der Wände, ist deutlich niedriger als die der Tür. Sie steht im Zentrum des Raumes - sowohl, was ihre Platzierung als auch, was ihre Bedeutung angeht.

Näheren Zutritt zur Konche verschafft allein ein Pfad aus eisernen Tritten über einem schwebenden weißen Voile. Ein Steg, gemacht gerade ´mal für einen vorsichtigen Zutritt eines Einzelnen -- Verweis vielleicht darauf, dass der Mensch beim Traum allein ist.

Unter der Kalotte beherbergt sie eine verrostete Stahlröhre mit dem Durchmesser eines kleinen Tellers. Auf dessen oberem Ende thront ein Nest. Darin wiederum ein Ei, ein Vogelei.

Eine mehrfache Schalung also für dieses hochempfindliche Gebilde.
Der Betrachter steht allein vor Konche und dem, was sie enthält. Und nur dann, wenn er den Kopf über das Nest reckt, sieht er das Ei.
Verborgen.

Die komplette Installation ist auf die Wirkung von Raum angelegt, mit allem, was dazu gehört: Bewegung, also Aktivität, Sehleistung, Körpergefühl. Von außen gesehen ist es Ausbreitung und nach dem Eintritt entwickelt sich eine Sogwirkung, nicht unähnlich den Archivolten romanischer Kirchen, die ebenfalls den Besucher hineinziehen woll(t)en.

Hier aber ist kein klerikaler Raum, dem Besucher ist keine doktrinierende Pflicht auferlegt. Er kann oder darf den Raum ( oder doch den TRaum? ) betreten. Eigenverantwortlich. Vielleicht mit Heiden-Respekt? Die Tür steht vor seinem Eintritt - sie wird ihn nicht hindern, so er eintreten will.

Wie begegnet er einer solchen Tor-Öffnung im profanen Bereich der Kunst?

Allein die Neugierde wird ihn eintreten lassen, er wird sich weiter in den Raum gezogen fühlen durch das, was er dann in der Mitte, beinahe schwebend über dem fließenden Voile ausmacht: die Konche, eine kleine Kapelle. Gearbeitet aus Holz. Stabil. Fest ruhend. Unter der Kuppel behütet Nest und Ei. Ein feste Burg! Dann sind da aber Blau und Gold und Weiß. Und der Voile, der über dem Boden liegt. Alles das hebt das Materielle auf, transzendiert. Und nicht ohne Grund ist der Raum nach oben hin offen.

Der Besucher wird nicht eilen, die Schwelle läßt Platz zum Verweilen, und zumindest zwei Hindernisse werden ihn verhalten werden lassen: Der Eindruck des Sakralen und das fächelnde Gewebe über dem Boden. Und dennoch wird er sich hingezogen fühlen, wird die schweren eisernen Tritte vorsichtig Schritt für Schritt betreten und sich dem nähern, was er irgendwie als Geheimnis vermutet: seine Gedanken und Gefühle werden eine sphärische Note erhalten, es sei denn, er ist fern natürlicher und spiritueller Erfahrung.

Mit einem Ei verbinden sich urmenschliche Denkweisen. Sie lassen Leben und Sterben hervorrufen. Den ewigen Kreislauf - Fortgang. Sie evozieren biblische (Er -)Kenntnisse, etwa Mt 6,26: Sie säen nicht, sie ernten nicht... In direkter Folge: Mit der Fügung Ei-Vogel gerät der Traum vom Fliegen in die Gedankensplitter. Mithin der Traum von Freiheit.

Das Ei als Symbol der ewigen Wiedergeburt im Zentrum eines weißen Raumes. Dieses unfassbare kleine Etwas im Mittelpunkt dieses errichteten und schützenden Raumes: die Gedanken sind zum Fliegen frei!
Ist es auch der Traum des Künstlers? Ist es sein Traum, Freiheit so zu installieren? Hat ggm einen eigenen Traum dargestellt oder animiert er zum Traum? Ging es ihm um das Werden ( Ei! ) und dessen notwendigen Schutz? Jedenfalls ist dieses Ei noch intakt - und aber damit seiner eigentlichen Aufgabe schon längst entzogen, denn nur die - zeitgemäße - Zerstörung der Schale ermöglicht den Fortgang. Hat also der Schutz zu sehr funktioniert?

Der Betrachter mag verweilen. Er kann mit sich und seinen Gedanken allein bleiben in diesem kleinen umhegten Ort. Dann kann er den (T)Raum verlassen. Vorsichtig, die kleinen Tritte erlauben keine breiten, ausladenden Schritte.

Türen sind verschließbar - oder zu öffnen. Konchen sind Schutz - oder Klausur. Wie auch Zäune, Mauern, Wände. Nester sind Beginn - oder Ende von Etwas. Symbole vom Verlassensein und von einem ewigen Zyklus. Wie auch das Ei.
Anders verhält es sich mit dem verrosteten Rohr und den Stegen: einstmals hergestellt, dann vergessen, dann weggeworfen. Nunmehr mit einer neuen Aufgabe versehen - ein altes ggmüller-Anliegen. Sie irritiert, diese Säule: verrostetes Eisen in goldener Umgebung. Im Dienst eines Nestes.

Die Symbole dieser Installation sind ambivalent, wenn nicht polyvalent. Sie lassen mindestens das Gegenteil zugleich zu. Die Deutung bleibt dem Betrachter, dem "Traumdeuter" - wenn es denn jemand sein möchte. So er denn nicht selbst beginnt, mit diesen Bildern zu arbeiten, sie für seine Freiheit der Gedanken zu nutzen.

Denn wie im Traum ist der Mensch allein in diesem Raum. Getrennt von anderen Besuchern und abgeschieden von kommentierenden Stimmen. Konfrontiert mit Abbildern ( Widerspiegelungen ) von Traumsymbolen, die sich im Rahmen eines großen Traumes zusammenfinden: Schönheit liegt verborgen - und Kunst läßt sie entdecken. Hinter einer Tür, in einem Gehege, in einer "Kapelle". Kunst läßt träumen.

Vielleicht träumen von Ruhe in heutiger Zeit. Vielleicht Glücklichsein über das Alleinsein - ohne einsam zu sein. Die Dinge geschehen lassen. Entdecken, was ist. Unerreichbar für den Lärm.

Ausruhen. Ein Traum des Heute. Verborgen.




Die Arbeit wurde von der Jury mit dem 3. Platz ausgezeichnet.